Vier Mythen über Führung und Leistungsmanagement
Führung wird immer komplexer und vielschichtiger und ist seit jeher Gegenstand umfangreicher Studien und Diskussionen. Mit der Entwicklung der Gesellschaft und der Anpassung von Organisationen an sich ständig verändernde Dynamiken verändern sich auch die Erwartungen und Mythen rund um die Leistung von Führungskräften. Im Bereich Leadership tauchen oft Mythen auf, die falsche Vorstellungen darüber verbreiten, was es braucht, um eine effektive Führungskraft zu sein. Diese Mythen können zu falschen Annahmen führen, die persönliche und berufliche Entwicklung behindern und sogar den Erfolg eines Unternehmens zunichtemachen. Um sich in der komplexen Welt des Leadership zurechtzufinden, ist es wichtig, mit diesen Mythen aufzuräumen und ein genaueres Verständnis dafür zu entwickeln, was wirklich eine außergewöhnliche Leadership und Team Performance ausmacht. In diesem Beitrag werden wir einige der am weitesten verbreiteten Mythen aufklären, die unsere Wahrnehmung von Führungskräften und ihren Fähigkeiten verschleiert haben.
- „Nur die Paranoiden überleben.“ Führungskräfte müssen sich ständig auf die Risiken konzentrieren.
- Führungskräfte müssen viele wichtige Leistungsindikatoren messen.
- Führungskräfte müssen stark sein und vermeiden, sich verletzlich zu zeigen.
- Teams können auch dann gut funktionieren, wenn sich ihre Mitglieder nicht wohl oder sicher fühlen.
1. „Nur die Paranoiden überleben.“ Führungskräfte müssen sich ständig auf die Risiken konzentrieren.
Wir sind süchtig nach schlechten Nachrichten. Eine Analyse der Entwicklung der Nachrichten in den letzten 20 Jahren hat gezeigt, dass die Nachrichten immer negativer werden (siehe Grafik unten). Und was noch schlimmer ist: Wir konsumieren diese Nachrichten immer mehr. Anstatt wie vor Jahrzehnten nur die Tageszeitung zu lesen oder um 22 Uhr die Nachrichten zu schauen, informieren wir uns heute ständig über die aktuellen Geschehnisse. Den ganzen Tag, über Nachrichten-Apps oder soziale Medien. Das hat Auswirkungen auf uns und darauf, wie wir die Welt sehen.1
Am Arbeitsplatz sind ähnliche Trends zu beobachten. Der renommierte Psychologe Daniel Goleman hat herausgefunden, dass E-Mails auf neuronaler Ebene eine Negativitäts-Tendenz besitzen.2 Mit anderen Worten: Wenn der Inhalt einer E-Mail neutral ist, gehen wir davon aus, dass der Tonfall negativ ist. In persönlichen Gesprächen werden der Inhalt und die Emotionen durch den Tonfall, die Mimik und die nonverbalen Hinweise verstärkt. Nicht so bei der digitalen Kommunikation. Und da unser Anteil an digitaler Kommunikation und die Dringlichkeit dieser Kommunikation zugenommen hat, ist auch die durchschnittliche negative Stimmung in Unternehmen gestiegen. Es ist zwar wichtig, dem Negativen Aufmerksamkeit zu schenken, aber noch wichtiger ist es, sich davon nicht zu sehr einnehmen zu lassen. Wir arbeiten am besten, wenn wir positiv sind. Wenn wir uns ansehen, wie unser Gehirn in einem negativen oder positiven emotionalen Zustand funktioniert, sehen wir deutliche Unterschiede (siehe Grafik unten).
Anstatt uns von Negativität und Dringlichkeit überfluten zu lassen, was sich wiederum auf die Funktionsweise unseres Gehirns auswirkt, ist es wichtig, bewusst auf alles zu achten, was gut läuft. Positives Denken ist eine Schlüsselkomponente von Careformance und eine nützliche Stütze für unsere zunehmend negative Wahrnehmung der Welt.
Wir würden diesen Mythos also umformulieren in: Führungskräfte müssen ein Gleichgewicht finden. Sie müssen das Positive schätzen und gleichzeitig auf die Risiken achten. Um das zu erreichen, arbeiten wir mit Teams und Führungskräften zusammen, damit sie regelmäßig über das, was gut gelaufen ist, nachdenken, ihre positiven Entwicklungen teilen und sich Zeit nehmen, sich gegenseitig wertzuschätzen.
2. Führungskräfte müssen viele wichtige Leistungsindikatoren messen.
Es herrscht das Gefühl, dass Unternehmen Projekte, Prozesse und Leistungsindikatoren (key performance indicators, KPIs) vervielfachen müssen, wenn sie wachsen. Für jeden neuen Prozess, jedes neue Ziel oder jeden neuen Kunden werden weitere KPIs festgelegt, die dann in immer komplexeren Dashboards gemessen werden. Es ist keine Überraschung, dass viele Unternehmen mit dieser Komplexität zu kämpfen haben. Ein Maß dafür ist der Index „Kompliziertheit der internen Prozesse und Messungen“ (was treffenderweise ein ziemlich sperriger Titel ist). Eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) aus dem Jahr 2020 hat ergeben, dass die Komplexität von Organisationen seit 1955 um das 35-fache zugenommen hat.3 Im Durchschnitt verbringen die Beschäftigten 40 bis 80 % ihrer Zeit mit nicht wertschöpfenden Tätigkeiten wie Berichten und Besprechungen. Und während die Messkomplexität zugenommen hat, ist das Gefühl der Arbeitnehmer:innen, von ihren Arbeitgeber:innen fürsorglich behandelt zu werden, wieder zurückgegangen, nachdem es während der Pandemie zu einer Verbesserung gekommen war (siehe Grafik unten).
Wir würden diesen Mythos folgendermaßen umformulieren: Um erfolgreich zu sein, müssen sich Führungskräfte in ausgewogener Weise auf einige wenige wesentliche KPIs und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter:innen konzentrieren. Um dies zu erreichen, empfehlen wir den Unternehmen, ihre Leistungsindikatoren zu reduzieren und Kennzahlen für die Fürsorge, wie z. B. Zufriedenheit, gefühlte Work-Life-Balance und Engagement, in die wichtigsten Indikatoren aufzunehmen.
3. Führungskräfte müssen stark sein und vermeiden, sich verletzlich zu zeigen.
Das ist ein weit verbreiteter Glaube von Führungskräften. Dass sie stark sein müssen, heldenhaft, und keine Schwäche zeigen dürfen. Liane stößt bei ihrer Arbeit als Coach für Führungskräfte häufig auf diese Einstellung. Sie sieht Führungskräfte und Manager:innen, die erschöpft sind und kurz vor dem Burnout stehen. Aber sie glauben immer noch, dass sie jedes Problem persönlich lösen müssen. Liane arbeitete kürzlich mit einer Führungskraft in einem Technologieunternehmen. Diese Person war ein Kandidat für die C-Suite. Trotzdem glaubte sie immer noch, dass sie jedes Problem in ihrem Team persönlich lösen müsste. Diese „verantwortungsvolle“ Denkweise war zwar lobenswert, aber auch einschränkend.
Das Ziel einer Führungskraft sollte es sein, den Raum und die Systeme zu schaffen, die es ihren Teams ermöglichen, Probleme unabhängig von ihrem Beitrag zu lösen. Das ist das Gegenteil des „Hero Leader“ Syndroms. Dabei handelt es sich um eine Geisteshaltung, bei der sich Führungskräfte stark auf ihre hohe Arbeitsleistung, Produktivität und Erfahrung verlassen und die Probleme ihres Teams allein lösen. Im „Hero Leader“ Modus werden die Teammitglieder nicht wachsen, wohl aber eine Kultur der Abhängigkeit. Heldhafte Führungskräfte sind nicht wirklich übermenschlich; sie geraten schnell in Stress. Das wiederum führt zu Stress in ihren Teams und löst bei den anderen Teammitgliedern Gefühle der Isolation und Selbstzweifel aus. Darunter leiden die Leistung und die emotionale Intelligenz des Unternehmens. Ein weiteres Zeichen dafür, dass Careformance nicht ignoriert werden kann.
Wir würden diesen Mythos also folgendermaßen umformulieren: Führungskräfte, die versuchen, heldenhaft zu sein, lassen andere nicht wachsen und gedeihen. Wir schlagen vor, dass Führungskräfte zugeben, dass sie nicht immer die richtigen Antworten haben, und auch mal Schwachstellen zeigen, damit die Teammitglieder sich sicherer fühlen und sich einbringen können. Und schließlich: Delegieren. Das ist für alle Beteiligten besser.
4. Teams können auch dann gut funktionieren, wenn sich ihre Mitglieder nicht wohl oder sicher fühlen.
Die Konzentration auf Aufgaben und das Überspielen innerer Unstimmigkeiten oder das Ignorieren der Interaktion im Team ist eine gängige Vorgehensweise von Teams (auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind). Dadurch fühlen sich Teams effektiv und konzentrieren sich darauf, Dinge zu erledigen – sind aber blind für die Realität von Engagement, positiver Zusammenarbeit und Innovation. Bei unserer Arbeit mit 110 Teams haben wir festgestellt, dass die psychologische Sicherheit mit einem Wert von 0,7 mit der Teamleistung korreliert – ein extrem hoher Anteil.4 Wir haben auch festgestellt, dass die Bereitschaft, sich mit den Emotionen des Teams auseinanderzusetzen, einer der wichtigsten Faktoren für die psychologische Sicherheit ist. Außerdem ist die Zeit, die man sich nimmt, um über die Gewohnheiten und die Zusammenarbeit im Team nachzudenken, einer der besten Prädiktoren dafür, dass ein Team ein lernendes und wachsendes Team bleibt. Das Innehalten und Reflektieren als Team sowie die Bereitschaft, Emotionen im Team anzusprechen, können für die Teammitglieder sogar sehr motivierend sein.
Wir würden diesen Mythos also umformulieren in: Positive, reflektierte und psychologisch sichere Teams sind leistungsstarke Teams. Teams sollten auf jeden Fall darauf achten, wie sie zusammenarbeiten, indem sie regelmäßig über ihre Gewohnheiten nachdenken und Gewohnheiten der Fürsorge und psychologischen Sicherheit verankern.
Zeit für Reflexion
Viele von Ihnen werden diesen Punkten hoffentlich zustimmen. Vielleicht haben Sie sie schon länger explizit gewusst oder sie unbewusst verstanden. Aber es gibt eine große Kluft zwischen dem, was wir in Momenten der Reflexion wissen, und dem, was wir tun. Wäre dies nicht der Fall, dann gäbe es diese Leistungsmythen nicht. Und das ist vor allem dann der Fall, wenn wir gestresst sind. Diese Mythen spiegeln im Wesentlichen wider, wie ein gestresster, mechanistischer Verstand die Welt sieht, und nicht, wie ein menschenzentrierter, ausgeglichener Mensch die Dinge sieht. Und so fallen wir häufig in diese Denkweise zurück, wenn wir gestresst sind, und vergessen dabei, dass Fürsorge und Leistung – Care und Performance – untrennbar miteinander verbunden sind.
Der nächste Schritt, um Careformance zu leben, ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung: die Veränderung unseres persönlichen Verhaltens und unseres Teamverhaltens. Dies wird der Schwerpunkt des nächsten Blogbeitrags sein.
Quellen
1 Lisa Feldman-Barett (2023). How a short negative news detox could revive your metabolism. In: BBC Science Focus. https://www.sciencefocus.com/the-human-body/why-news-bad-for-you-psychology
2 Jocelyn K. Glei (2016) How to give negative feedback over email. In: Harvard Business Review.
3 Vinciane Beauchene & Molly Cunningham The end of management as we know it. In: Boston Consulting Group
4 Chris Tamdjidi & Silke Rupprecht (2023) Insights from assessments of 100 teams. In Make a Difference Media