Fünf Mythen über was uns leistungsfähig macht
- Paradoxerweise ist die Konzentration auf das Wohlbefinden und die Betreuung der Mitarbeiter ein wirksames Mittel, um die Leistung Ihres Unternehmens zu verbessern.
- Allerdings erkennen Unternehmen diese Wahrheit oft nicht, weil fünf Mythen über Leistung vorherrschen. In diesem Artikel wollen wir mit diesen fünf Mythen aufräumen.
Viele Unternehmen konzentrieren sich wieder ausschließlich auf Gewinn und Effizienz. Während die Vorgesetzten ihre Angestellten zurück ins Büro holen, beobachten wir eine Wende hin zu einer Leistungskultur, die auf Kosten der Fürsorge für die Beschäftigten geht. Für viele Arbeitnehmer:innen sind Home-Office, kostenlose Yogastunden am Arbeitsplatz oder die Frage des Vorgesetzten „Wie geht es dir?“ nicht mehr als eine seltsam ferne Erinnerung (ebenso wie die Pandemie selbst). Eine Gartner-Umfrage hat ergeben, dass die Rentabilität im Jahr 2023 im Mittelpunkt des Interesses der Investoren stehen wird, was bedeutet, dass Effizienz, Kostenmanagement und Rentabilität zunehmend an Bedeutung gewinnen.1
Die Konzentration auf diese Kriterien ist für jedes Unternehmen wichtig. Wir plädieren jedoch für Careformance; die Integration von Fürsorge und Wohlbefinden in die Leistungskultur. Paradoxerweise ist die Konzentration auf das Wohlbefinden der Beschäftigten ein wirksames Mittel, um die Leistung Ihres Unternehmens zu verbessern. Um dies zu erreichen, müssen Führungskräfte und Manager:innen ihr Mindset ändern. Dieses ist in der Regel durch einen engen Fokus auf Wachstum, Leistung und Effizienz gekennzeichnet. Diese Denkweise ist nicht nur veraltet, sie ist auch einfach falsch. Unsere Daten zeigen beispielsweise, dass sich die Leistung von Teams verbessert, wenn sich ihre Mitarbeiter:innen psychologisch sicher und umsorgt fühlen.2
Der offenkundige Fokus auf Leistung deutet darauf hin, dass die Führungskräfte eine falsche Meinung darüber haben, wie Unternehmen funktionieren sollten. Diese entspricht nicht der Realität, wie Menschen, Teams oder wissensbasierte Arbeit funktionieren. Deshalb werden wir in diesem Blog zehn Mythen über Arbeitsleistung identifizieren und widerlegen, die für moderne kollaborative Wissensarbeit ganz oder teilweise unwahr sind. Und zwar:
- Ein Unternehmen ist erfolgreich, weil es aus leistungsstarken Einzelpersonen besteht.
- Chronischer Stress ist ein unvermeidbarer Aspekt des modernen Arbeitslebens, den es zu ignorieren gilt.
- Arbeitnehmer:innen sollten Multitasker:innen sein – sie müssen jederzeit effektiv und reaktionsbereit sein.
- Arbeitnehmer:innen müssen ihre Emotionen ausblenden, um professionell zu sein.
- Geld ist der beste Motivator, denn die Vergütung garantiert eine höhere Leistung.
Mythos 1: Ein Unternehmen ist erfolgreich, weil es aus leistungsstarken Einzelpersonen besteht
Obwohl dieser erste Mythos logisch erscheint, gibt es zwei Probleme damit. Moderne Wissensarbeit basiert in den meisten Fällen auf Zusammenarbeit. Teams spielen für die Unternehmensleistung eine zunehmend wichtigere Rolle als Einzelpersonen. Bei der Wissensarbeit geht es darum, komplexe Probleme zu lösen. Dies erfordert unterschiedliche Fähigkeiten und Perspektiven, und um Ergebnisse zu erzielen, muss die Verantwortung geteilt werden. Das bedeutet, dass leistungsstarke Teams wichtiger sind als leistungsstarke Einzelpersonen.3
Tatsächlich kann die Konzentration auf leistungsstarke Einzelpersonen zu Problemen führen. Dazu gehören: Silodenken, mangelnde Zusammenarbeit, Messiaskomplexe (Einzelne halten sich für wichtiger, als sie sind) und eine schwächere Gesamtleistung des Teams. Zwar sind sowohl Einzelpersonen als auch Teams wichtig, aber wir haben immer wieder festgestellt, dass dysfunktionale Teams oder Prozesse die Leistung eines Unternehmens stärker beeinträchtigen als eine einzelne Person.
Es ist daher problematisch, die Leistung nur auf der individuellen Ebene zu messen. Einige Aspekte der Auftragserfüllung und des Projektfortschritts sind messbar. Aber viele Aspekte echter Wissensarbeit sind schwer zu messen. Die Messung kann sogar negative Anreize schaffen, die echte Innovation und Zusammenarbeit behindern. Und damit auch die Unternehmensleistung.
Eine Studie, die sich mit der Produktivitätsforschung in der Wissensarbeit befasst, kam zu folgenden Ergebnissen:
“Bei der Untersuchung der Forschungsergebnisse sind wir zu dem eindeutigen Schluss gekommen, dass Wissensarbeit so vielfältig ist und ihre Ergebnisse so wenig greifbar sind, dass es unmöglich ist, ein einziges Universalkriterium für die Produktivität von Wissensarbeitern zu finden. Wir sind auch zu dem Schluss gekommen, dass herkömmliche Maßstäbe für den Output pro Produktionseinheit wie „Anrufe pro Akteur pro Stunde“ oder „Einheiten pro Woche“ oder „Kosten pro Einheit“ für wissensbasierte Unternehmen unangemessen sind. Sie führen vielmehr zu den falschen Verhaltensweisen und haben das Potenzial, den Wert von Organisationen zu zerstören.” – Center for Evidence Based Management.
Wir würden diesen Mythos daher wie folgt umformulieren: Ein Unternehmen ist erfolgreich, weil es aus leistungsstarken Teams besteht.
Mythos 2: Chronischer Stress ist ein unvermeidbarer Aspekt des modernen Arbeitslebens, den es zu ignorieren gilt.
Die meisten von uns wissen, dass wir ein bestimmtes Maß an Aktivierung brauchen, um Leistung zu bringen. Das Yerkes-Dodson-Gesetz, das vor über einem Jahrhundert aufgestellt wurde, besagt, dass unsere Leistung bei vielen Aufgaben mit unserem Stressniveau zusammenhängt. Seitdem haben jedoch viele andere Studien gezeigt, dass zu viel Stress (akuter Stress) und vor allem Langzeitstress (chronischer Stress) sich negativ auf die Leistung und das Wohlbefinden auswirken.4 Dieselbe Forschung hat jedoch auch gezeigt, dass Führungskräfte diese Auswirkungen umkehren können, indem sie das Wohlbefinden aktiv fördern. Leider ist dies in den modernen Unternehmen noch nicht richtig angekommen.
Viele bedenken zwar, dass:
- Hoher und akuter Stress die Leistung hemmt.
- Chronischer Stress sich auf die Gesundheit auswirkt.
Aber sie vergessen, dass:
- Chronischer Stress sich negativ auf die Leistung auswirkt.
- Eine kontinuierliche Stressbelastung unweigerlich zu chronischem Stress führt.
Tatsächlich zeigen unsere eigenen Befragungen einen starken Zusammenhang zwischen erhöhtem empfundenem Stress (mit dem PSS-4, einem zuverlässigen Instrument zur Messung des empfundenen Stresses) und geringer Leistung (siehe Grafik unten).

Wir würden diesen Mythos also folgendermaßen umformulieren: Eine nachhaltige hohe Leistungsfähigkeit erfordert ein Gleichgewicht zwischen Leistung und Erholung und damit ein niedrigeres Stressniveau. Mit anderen Worten, sich auf das Wohlbefinden zu konzentrieren, um die Leistung zu verbessern, oder Careformance.
Mythos 3: Arbeitnehmer:innen sollten Multitasker:innen sein – sie müssen jederzeit effektiv und reaktionsbereit sein
Manche Menschen rühmen sich gerne mit ihren Multitasking-Fähigkeiten. Ich bin mir sicher, dass wir alle schon einmal gehört haben, dass sich jemand im Büro einfach als “ gute Multitaskerin“ bezeichnet hat. In gewisser Weise sollte uns das nicht überraschen. Die meisten modernen Arbeitnehmer:innen haben mehrere Prioritäten und Ziele, an denen sie gleichzeitig arbeiten. Wenn jemand Multitasking zelebriert, glauben er oder sie also, dass er oder sie seine Arbeit einfach gut macht.
Aber das ist leider nicht wahr. Wenn wir an etwas arbeiten, das kognitives Engagement, konzentriertes Denken oder Zusammenarbeit erfordert, können wir nachweislich nur eine Sache nach der anderen gut erledigen.5 So funktioniert unser Gehirn einfach. Wenn wir mehrere Dinge „scheinbar“ gleichzeitig tun, wechseln wir in Wirklichkeit häufig zwischen den Aufgaben. Wir können nicht gleichzeitig eine E-Mail verfassen, ein Gespräch mit einem Kollegen führen und an unserem Kaffee nippen. Wir können zwar, aber dann wir machen all diese Dinge nicht wirklich ordentlich.
Studien zeigen, dass das Wechseln zwischen den Aufgaben mit extrem hohen kognitiven Kosten verbunden ist. In einer Studie wurde untersucht, wie lange die Beschaffung eines Artikels in einem Produktionsunternehmen dauert, je nachdem, wie viele Artikel parallel beschafft werden. Das Ergebnis war eindeutig. Mit zunehmender Anzahl der zu beschaffenden Artikel verdreifachte sich die Zeit für die Beschaffung fast.
In unserer eigenen Arbeit mit Tausenden von Menschen haben wir ihre Aufmerksamkeitskontrolle und ihre Fähigkeit, effizient zu arbeiten, untersucht. Wir haben festgestellt, dass konzentriertes Arbeiten sowohl bei der Bearbeitung von E-Mails als auch bei der Erledigung wichtiger Aufgaben Stress reduziert und die Produktivität erhöht. Wir haben außerdem hinterfragt, ob wir wirklich so reaktionsschnell sein müssen, wie wir glauben, und wie viel von unserem Task-Switching von uns selbst verursacht wird. Beide Schlussfolgerungen stellen diesen Mythos in Frage. Wir können unsere Reaktionsbereitschaft einteilen und müssen nicht immer „auf Abruf“ sein. Ein großer Teil der Aufgabenwechsel wird durch interne Ablenkungen verursacht – z. B. wenn wir unsere Arbeit kurz unterbrechen, um E-Mails zu checken oder auf die Flut von Nachrichten zu reagieren – während ein anderer Teil von den Unternehmen erzwungen wird.
Wir würden diesen Mythos also folgendermaßen umformulieren: Singletasking, bewusstes Aufmerksamkeitsmanagement und konzentrierter Fokus sind viel effektiver als Multitasking. Um dies zu erreichen, empfehlen wir, besprechungsfreie Tage zu organisieren, Zeitblöcke zu schaffen, in denen die Beschäftigten keine E-Mails beantworten müssen, und bewusst über die relevanten Antwortzeiten für die Kommunikation nachzudenken.
Mythos 4: Arbeitnehmer:innen müssen ihre Emotionen ausblenden, um professionell zu sein
Viele von uns glauben, dass wir unsere Emotionen unterdrücken müssen, um professionell zu sein. Dass Gefühle unserem Denken schaden können. Und so gehen die meisten von uns zur Arbeit und spielen diesen seltsamen „Charakter“ unserer selbst. Jemand, dessen Stimmung nie zu kippen scheint, der nie frustriert ist über irgendwelche sinnlosen Abläufe und Meetings und der nie etwas von dem preisgibt, wer er oder sie wirklich ist. Die moderne Neurowissenschaft hat jedoch gezeigt, dass Emotionen viel mächtiger sind als unser Verstand. Und dass Emotionen unser Denken stark beeinflussen, vor allem, wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind.6 Außerdem bedeutet das Ignorieren oder Unterdrücken von Gefühlen, dass Menschen eine Menge emotionale Arbeit leisten müssen und sich bei der Arbeit unvollständig oder nicht ganz menschlich fühlen. Schock: Wir sind keine Roboter. Ein schlechtes emotionales Klima am Arbeitsplatz ist eine der Hauptursachen für Stress. Und wie wir mit Careformance argumentieren, hemmt hoher Stress die Leistung.
Die Bedeutung der Arbeit mit Emotionen wird bei der Teamarbeit deutlich. Druskat und Wolff argumentieren: „Um am effektivsten zu sein, muss das Team emotional intelligente Normen schaffen, jene Einstellungen und Verhaltensweisen, die schließlich zu Gewohnheiten werden – die Verhaltensweisen zum Aufbau von Vertrauen, Gruppenidentität und Gruppeneffizienz unterstützen.“7 Und wir bei Awaris haben das öfter beobachtet, als wir zählen können. Emotional intelligente Teams sind besser in der Lage, mit Emotionen umzugehen und sie zu verarbeiten, und erzielen daher oft höhere Werte bei psychologischer Sicherheit und Innovation. In einem Umfeld, in dem Emotionen gut gehandhabt werden, entstehen Vertrauen, ein Empfinden von Identität und ein Gefühl der Effektivität. Wir glauben, dass Teams, Führungskräfte und Organisationen davon profitieren, wenn sie ihre emotionale Intelligenz ausbauen. Dies wird in zahlreichen Ansätzen zur Führungskräfteentwicklung klar benannt, dringt aber oft nicht in die gelebte Realität von Arbeitsplätzen ein. (Obwohl bei Awaris die Förderung der emotionalen Intelligenz der Grundstein für viele unserer Programme ist).
Wir würden diesen Mythos also folgendermaßen umformulieren: Emotionales Gewahrsein, sowohl bei jedem Einzelnen als auch im Team, führt zu mehr Engagement, weniger Fehlern und besserer Leistung. Schon allein der Schritt, zu Beginn eines Meetings bewusst miteinander Kontakt aufzunehmen, fördert den Zusammenhalt und das Engagement eines Teams.
Mythos 5: Geld ist der beste Motivator, denn die Vergütung garantiert eine höhere Leistung
Sobald wir diesen Mythos in unserer Arbeit mit Unternehmen ansprechen, widersprechen uns viele Leute offen. Sie sagen Dinge wie „Sicherlich ist die Bezahlung ein enormer Anreiz“ oder „Wenn das nicht so wäre, warum sollten Unternehmen dann Boni auszahlen?“ Eine weltweite Umfrage des Beratungsunternehmens McKinsey – das seine Mitarbeiter:innen bekanntlich gut bezahlt – hat gezeigt, dass die meisten Führungskräfte eindeutig der Meinung sind, dass Empowerment und soziale Bindungen bessere Motivatoren sind als finanzielle Belohnungen (siehe Grafik unten). Trotzdem verlassen sich die meisten Organisationen mehr auf finanzielle als auf nicht-finanzielle Belohnungen, um Leistung zu fördern.8 Das deckt sich mit dem, was wir sehen, wenn wir mit Organisationen zu arbeiten beginnen.

Die Realität der Anreizsysteme unterscheidet sich von dem, was moderne Arbeitnehmer:innen tatsächlich wollen. Die jüngeren Generationen legen mehr Wert auf Sinn und Wohlbefinden als auf andere Motivatoren, was darauf hindeutet, dass viele Unternehmen an veralteten Anreizsystemen festhalten. Viele messen und incentivieren weiterhin mit einer fast schon komischen Genauigkeit mit finanziellen KPIs, stärken aber nicht das soziale Gefüge einer Organisation. Oder sie investieren in das Wohlbefinden. Investitionen in das Wohlbefinden machen beispielsweise nur 1 bis 2 % der Gehaltskosten aus, obwohl die Rendite von Investitionen in das Wohlbefinden die Auswirkungen höherer Gehälter auf die Mitarbeiterbindung und das Engagement weit übersteigt.9 Ein weiteres Beispiel für Careformance in Aktion.
Wir würden diesen Mythos also folgendermaßen umformulieren: Wachstum, Verbundenheit, Sinn und Fürsorge sind stärkere Motivatoren als Geld. Bevor Sie einem unzufriedenen Mitarbeiter blindlings eine Gehaltserhöhung anbieten, könnten Sie ihn oder sie vielleicht erst einmal fragen, was er oder sie aus der Perspektive der Fürsorge braucht.
Quellen
1 2023 Gartner CEO and Senior Business Executive Survey CEO Survey 2023 Signals Rising Focus on Business Productivity (gartner.com)
2 Chris Tamdjidi & Silke Rupprecht (2023): Insights from assessments of 100 hybrid teams. Make a Difference Media. Insights from assessments of 100 hybrid teams – The role of team habits on innovation and psychological safety – make a difference – workplace culture, mental health, wellbeing
3 Charles Duhigg (2016): What Google Learned From Its Quest to Build the Perfect Team. The New York Times.
4 Sophie Meunier et al. (2022): The association between perceived stress and job performance: the buffering role of health promoting management practices. Trends in Psychology.
5 Eyal Ophir et al. (2009): Cognitive control in media multitaskers. PNAS.
6 Lisa Feldmann-Barrett (2022): There’s more than one way to carve up a human brain. BBC Science Focus.
7 Vanessa Urch Druskat and Steven B. Wolff (2001): Building the emotional intelligence of groups. HBR.
8 Martin Dewhurst et al. (2009): Motivating people: Getting beyond money. McKinsey Quarterly.
9 Leonard L. Berry et al. (2010): What’s the hard return on employee wellness programs? HBR.